Was ist Engagement ?

 

Es gehört zum guten Ton zu sagen, dass wir einer Generation angehören, die nicht politisiert sei . Wir sind nach 68 während der Demokratisierung der Computer aufgewachsen.Wir sind die Kinder des Individualismus, die ersten, die während und nach der Schule mit Maschinen groß wurden. Es trifft zu, dass wir nicht zuerst davon geträumt haben, die Welt zu verändern. Das konkrete und tägliche Leben im Ausland und die tiefe Veränderung, die es bringt, hat unser historisches und politisches Bewusstsein sicherlich am meisten erweckt. Wie kann man diese Generation einordnen ? Wie dieses „wir“ fest legen ? Unsere Vorgänger haben alles dekonstruiert. Wir bauen wieder zusammen. Angefangen bei dem, wo alles beginnt – was 68, nach 45, abgetötet hatte – dem Erhaltung strieb. Unsere Eltern und Großeltern haben davon geträumt zu entzweien und zu analysieren. Wir erfinden die romantische Einheit von Kunst und Leben wieder neu. Jetzt halte man uns bloß nicht „Fluxus“ entgegen, für die das Leben nur das menschliche Leben bedeutet, das Alltagsleben, das Straßenleben, zu dem man hinabsteigen sollte. Von diesem Gesichtspunkt ist „die Kunst ist das Leben“ Widersinn. Kunst gehört zum Leben, weil sie von ihm durchströmt wird und nicht, weil sie abdankt und vorgibt, das Museum zu verlassen. Die biologische und metabiologische Einheit der Kunst und des Lebens interessieren uns. Die Zugehörigkeit des Menschen zum Bios bis in seine bezeichnendsten Aktivitäten: die Kunst, die Philosophie und die Wissenschaft. Da, wo wir aber aufhören romantisch zu sein, treffen wir mit dem Geist der 68 zusammen. Sich nur in sich selbst zurück zu ziehen ist nicht unsere Art. Wir haben weder Zeit noch die Wahl. Die Konkurrenz ist zu grausam. Wir können nicht darauf verzichten, auf die Welt zu wirken und unsere Existenz geht davon aus, dass die Welt uns sieht. Das Klischee des verdammten Künstlers, des verrückten Philosophen oder Wissenschaftlers existiert nicht mehr. Wenn es nicht darum geht, die Revolution zu machen, so kann es aber auf keinen Fall darum gehen zu flüchten. Schreiben oder malen heißt natürlich in die Welt einzubrechen, was auch beinhaltet, dass man ihre Waffen kennt. Wir unterscheiden uns jedoch von 68 darin, dass wir Erbauer sind. Die wahre Revolution ist die des Blickes, wie es auch die Aufgeklärtesten der 68er erkannt haben. Sich selbst ändern, bevor man vorgibt, die Welt zu ändern ist eine gute Propädeutik für die richtig verstandene Revolution. Kurz, wir beschäftigen uns damit, die Welt mit unseren Händen und unseren Mythen und nicht mit denen der Politik einzufangen. Jedem seinen Beruf.

 

„Who wants to be ?“ ist die Arbeit einer Malerin. In diesem Sinne transzendiert sie natürlich die geopolitischen Fragen, die sich durch diese Malerei stellen. Im Gegensatz zu der (in die Mode gekommenen ) unscharf en Malerei, die die Fotografie oder Computerbilder imitiert, hat man sich hier für Schärfe entschieden. Die „sieben Söldner“ der internationalen politischen Szene kann man gut erkennen. Aber sie sind es als Motive und Vokabular eines Stils. Die Porträts, bei denen auf die Karnation besonderen Wert gelegt wird, sind ein Wink an die historische Malerei und fügen sich alle in einen rechteckigen, weißen, vertikalen und unbemalten Raum ein. Der Hintergrund des Gemäldes ist der Ort, wo sich die Malerei explizit abspielt, der Problematik der Schule „Support-Surface“ entsprechend, die im figurativen Element verwandelt wird. Dieser unbemalte Raum findet sich auch im Zentrum des Zentrums des Gemäldes, nämlich mitten im Gesicht jeder Person, das somit offen liegt und den Titel der Serie („Who wants to be?“) berechtigt. Die Leere lässt sich mitten in der Fülle nieder, sie ist nicht nur der unbemalte Hintergrund, über den das Motiv (die Person) herrscht und mit dem es spricht. Sie ist verborgen im Herzen des Motivs – und als solche deutlich gemacht in geheimem Einverständnis mit der biologischen Problematik des Zellabbaus, der Apoptose . Aber dieses leere Oval im Gesicht lädt den Zuschauer auch ein, seinen Kopf an die Stelle dieses oder jenes „Helden“ zu setzen. Was heißt es zum Beispiel, Präsident von Russland zu sein ? Was heißt es, die Identität eines Volkes zu verkörpern ? Oder wer möchte Präsident der Vereinigten Staaten sein ? Es geht genauso darum, die Identität dieses oder jenes Volkes zu hinterfragen als auch jeden Einzelnen von uns zu befragen – über unsere nationalen Zugehörigkeiten hinausgehend. Wärst du in der Lage, dich an diesem Platz, mit dieser Funktion und für dieses Volk stehend, vorzustellen ? An diesem Punkt sollte man die Haltung der Personen beachten, die durch die Disposition der Hände sichtbar gemacht wird: die Hand, die gleich den Revolver ziehen wird , und erhobene Hand mit ausgestrecktem Daumen, zusammen gehaltene Hände, Hände auf gekreuzten Armen, Hände die zur Präsentation herunter hängen, geballte Faust und hängende Hand, versteckte Hände, christische Hand mit erhobenem Zeigefinger. Alle diese Figuren wurden in der vorher gehenden Serie von 20 Bildern über 20 europäische Länder „Bei uns“ schon eingeführt, hier wird die Hand aber noch deutlicher Ausdruck eines Charakters, eines Menschen und vielleicht eines Volkes, auf jeden Fall aber einer Politik. Die Behauptung der Landschaft gehorcht ebenfalls einer Dialektik zwischen dem Motiv der Malerei und der unbemalten Oberfläche. Sie ist die zeitgenössische Behauptung eines wohl bekannten pikturalen Genres, dessen sich die Porträtmalerei lange bedient hat. Als Beispiel nur die Ganzkörperporträts von Thomas Gainsborough. Die Landschaft ist ein geografisch determiniertes Element der Identifikation in einer Arbeit, in der rein pikturale oder stilistische Fragen und die Frage der Identitäten aufeinander treffen. Von der Sandburg auf diesem Strand, von dem man annimmt, er sei in Kalifornien, zum brennenden Busch von Kofi Annan, von der wüstenhaften blutroten Landschaft, auf palästinensischer Seite, bis zur gleichen Landschaft, aber in Wüstenfarben gezeichnet, auf israelischer Seite, von dem sehr sibirischen Eismeer zu den vielfältigen Bambusgewächsen und zur doppelten mediterranen und nordischen Dimension Europas, so sind die Landschaften auch die greifbare Antwort auf den unbemalten Hintergrund, an den sie grenzen, von denen dieser sich unterscheidet , aber auf deren Oberfläche sie selbst gemalt wurden. So ist die Repräsentation der Verantwortlichen der großen Länder, in denen sich mit aller Schärfe Fragen stellen wie „Wer sind wir ? Wer werden wir sein ?“ zuerst Ausdruck einer Infragestellung, die die Malerei an sich selbst richtet. Die Mächtigen zu malen heißt die Identität der Völker und jedes Einzelnen von uns zu hinterfragen, es heißt vor allem aber, die Identität der heutigen Malerei zu hinterfragen – und sich klar zu entscheiden .

 

Dr. Laurent Cherlonneix,

Forschungsbeauftragter am C.N.R.S.,

Februar 2004, Berlin